Mittwoch, 23. Oktober 2013

In den Krieg aneinander vorbei ziehen

Immer mehr Menschen sammeln sich an den beiden Straßenrändern und warten. Man sieht ihnen nicht an, ob sie gerne warten, weil ihnen noch viel zeit bleibt oder ob sie ungeduldig sind.
Sie warten einfach nur.
Starren auf das rote Licht oder tippen auf ihren Handys herum.
Sonst bewegen sie sich nicht - Beinahe so, als wären ihre Füße am Boden verankert.
Doch dann setzen sie sich in Bewegung. Von hier aus, hinter dem Fenster, das genau an der Kreuzung liegt, sieht es so aus als würden sie in den Kampf ziehen.
Zwei Gruppen von Kriegern, die mir entschlossenen, zügigen Schritten aufeinander zugehen, um ihre Schwerte zu schwingen. Ein seltsames Klirren wird in der Luft liegen, wenn die Schwerte aufeinander treffen. Gleich.
Sie vermischen sich.
Und gehen aneinander vorbei.
Sie haben sich nicht mal angesehen. Nicht gespürt, dass noch irgendwer anwesend war. Irgendwer anderes als sie selbst.
Sie wissen nicht, an wem sie vorbei gegangen sind. Sie wissen nicht, dass ich sie dabei gesehen habe. Sie wissen nicht mal, dass ich existiere.
Und dann sind sie auch schon wieder aus meinem Blickfeld verschwunden. Ich versuche mir die namenlosen Gesichter einzuprägen, auch wenn ich weiß, dass ich sie nie wieder sehen werde.
Es waren nur zwei kleine Gruppen von Menschen. Ich habe heute schon hunderte Menschen gesehen. Ich weiß, dass sie existieren. Aber wer von diesen vielen Menschen weiß das auch von mir?
Noch eine letzte Person rennt hastig über die Straße, dann bilden sich zwei neue Armeen, die wieder warten und wieder in den Kampf ziehen. Und wieder und wieder und wieder spielt sich die gleiche Szene, nur mit anderen Schauspielern, vor mir ab. Ich warte darauf, dass irgendetwas passiert, das nicht in diese Norm passt.
Doch auch wenn es faszinierend ist, wird es mit der Zeit langweilig. Dieser kleine Teil im Leben der Menschen ist uninteressant, monoton, mechanisch. Langweilig.
Und bei vielen Menschen ist das nicht nur der kleine Teile. Sie gestalten ihr ganzes Leben wir ihren Gang über die Ampel: In den Krieg aneinander vorbei ziehen.
Ich versuche wegzusehen, diese nie endende Szene zu vergessen, aber es geht nicht, weil ich mir immer die Frage stellen muss, ob ich genauso bin wie sie.

1 Kommentar:

  1. Wow, so gut geschrieben! Mal wieder was zum Nachdenken...
    Hatte neulich auch einen Text zu ner Ampelsituation - ganz anders, aber kannst ja mal gucken: http://bikelovin.blogspot.de/2013/10/ich-sehe-rot.html
    LG

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