Hallo ihr Lieben!
Passend zu Weihnachten habe ich eine kurze Geschichte geschrieben.
Trotzdem hoffe ich, dass sie euch nicht zu lang ist und ihr sie trotzdem durchlest.
Es gibt viel zu viele
Wörter auf der Welt. Viel zu viele unwichtige, falsche Wörter. Ich
habe die Falschen verwendet. Ich habe sie verwendet und als ich sie
rückgängig machen wollte, war es zu spät. Wir hatten einen Streit,
einen Kleinen, wenn man bedenkt, wie groß die Probleme der
Menschheit sind. Er war abgelenkt. Das Auto kam auf dem Eis ins
Rutschen. Ich überlebte. Er nicht.
„Ich hasse dich.“
Das habe ich gesagt.
Seitdem sage ich nichts
mehr. Die Ärzte können nichts tun. Sie haben alles versucht, aber
der Schaden ist dauerhaft. Meine Eltern haben es nicht verkraftet und
sehen mich seitdem immer so komisch an. Tut mir Leid, dass sie ein
behindertes Kind haben. Schon ein Jahr lang.
Diese Weihnachten liegt
kein Schnee. Morgen wird kein Schnee liegen. Es gibt kein Eis. Es ist
wie im Frühling. Die Sonne scheint, an den Bäumen blühen die
ersten Blüten. Ich lasse den frischen Wind auf meine nackten Arme
und durch meine schwarzen Haare wehen. Ich renne. Das mache ich
manchmal. Ich renne so weit und so schnell ich kann. Ich renne davon.
Ich will vergessen.
Die Sonne steht noch
tief. Es ist eine Allee, eine Verbindung zwischen meiner Stadt und
einem Dorf. Drei Kilometer lang. Ich renne bis ich dort bin und
schmeiße mich auf eine kleine morsche Bank. Ich sehe über das Feld
zu den kleinen Bergen. Ich wollte dort hoch klettern. ER meinte, ich
wäre verrückt. ER wollte nie mit mir dort hoch.
„Geht es dir gut?“,
höre ich eine Stimme neben mir und ich schleudere herum. „Du
weinst ja.“
Ich lächele dem Jungen
zu und wische mir die Tränen weg. Dann wende ich mich wieder den
Bergen zu. Wie es wohl da oben ist? Warum bin ich nicht längst
alleine dort hoch? Aber sonst entferne ich mich von IHM.
„Bist du schüchtern?“
Ich schüttele meinen
Kopf. Soll er doch denken, dass ich eingebildet bin. Ich will nie
wieder einen Jungen zu nah an mich heranlassen. Aber trotzdem stellt
sich mir die unerbittliche Frage: Wer ist er? Wer hat so eine warme
schöne Stimme?
Ich sehe ihn mir nicht
genau an, aus Angst, er könnte gut aussehen. Aus Angst, dass er
etwas in mir auslöst. ER wird der einzige in meinem Leben bleiben.
„Kannst du nicht
reden?“
Nicken.
Wer zum Teufel bist du?
Warum hast du das so schnell erraten?
„Weißt du, manchmal
rede ich viel zu viel. Da wünschte ich mir, ich könnte auch nicht
reden.“
Ha, so ging es mir auch
mal.
Dann sehe ich ihn an.
Grüne Augen.
Dunkelbraunes Haar. Schlanke Figur. Die berührendste Wärme, die ich
je gespürt habe. Er ist etwas jünger als ER, aber ER war drei Jahr
älter als ich.
„Du hast ja blaue
Augen“, sagt er und strahlt mich an. Dann sagt er nichts mehr.
Und ich sage nichts
mehr.
Und plötzlich scheint
es so, als würde ich alles über ihn wissen, als würde ich ihn
schon ewig kennen. Als wäre er mein bester Freund, mein Beschützer
und der Eine, der dieses Gefühl in mir auslöst.
Das verbotene Gefühl.
Ich stehe auf und renne. Nein, das kann nicht sein. Nicht er, nicht
ich. Nicht wir.
Ich höre seine Schritte
hinter mir, spüre seine Hand auf meiner Schulter und das folgende
Kribbeln in meinem ganzen Körper.
„Ich … Ich will dich
nicht nerven, aber …“
Nein, rede weiter. Nicht
aufhören, flüstert eine Stimme in mir, aber eine andere schreit:
Renn!
„Ich wollte dir noch
sagen, dass ich glaube, dass du reden kannst, wenn du nur willst.“
Nein, er irrt sich. ER
hat sich nie geirrt.
Und jetzt renne ich. Ich
renne richtig, sodass er keine Chance hat mich einzuholen. Nie wieder
so ein Gefühl, wie bei IHM. Das habe ich mir geschworen.
„DU HAST DEINE
TABLETTEN NICHT GENOMMEN!!!“, schreit meine Mutter am nächsten Tag
durch das ganze Haus.
Oh nein, denke ich und
verdrehe die Augen. Ich habe geträumt. Ich habe von dem Jungen von
gestern geträumt. Ich wollte nicht. Und ich habe es trotzdem getan.
Seitdem muss ich immer so doof grinsen. Und jedes mal, wenn ich mich
dabei erwische, kneife ich mich, damit ich wieder weiß, dass ich
nicht darf.
Gestern war ich allein.
Ich habe mich noch einmal umgedreht, um zu sehen, ob er mir folgt.
Aber er tat es nicht. Ich wusste nicht, ob ich darüber froh sein
sollte oder niedergeschlagen. Wahrscheinlich war es besser so, aber
irgendetwas in mir, wollte ihn ansehen, seine Stimme hören.
„Du musst deine
Tabletten nehmen“, sagt meine Mutter ernst. „Sonst wirst du
niemals wieder reden können, niemals einen Mann finden, nie
glücklich werden. Du wirst ein einsames Leben führen, wenn dein
Vater und ich irgendwann nicht mehr da sind.“
Na, frohe Weihnachten.
Was hat er bloß gestern
dort gemacht?
Wohnt er in dem Dorf?
Hat er auf jemanden
gewartet?
Ich lächle meiner
Mutter zu und gebe ihr ein Zeichen, dass ich wohin muss. Ich müsste
zur selben Zeit wieder dort sein, wie gestern. Vielleicht ist er
heute auch wieder da.
Ich renne so schnell,
dass SEINE Stimme, die mir verbietet, das zu tun, nicht hinterher
kommt.
Ich spüre, dass ich
strahle, dass ich glühe. Selbe Zeit, selber Ort.
Doch er ist nicht da.
Ich drehe mich zwei mal
im Kreis, um auf Nummer Sicher zu gehen, aber keine Spur von ihm.
Wie dumm von mir. Wie
konnte ich annehmen, dass er hier ist? An Weihnachten und kurz
nachdem ich ihn offensichtlich gezeigt habe, dass ich nicht
interessiert bin.
Ich sehe zu den Bergen,
dann zum Dorf. Es ist nur ein kleines Dorf. Es kann doch nicht so
schwer sein ihn zu finden. Also gehe ich los.
Trostlos sieht es hier
aus. Die Straßen sind verlassen. Wahrscheinlich gehen die Leute hier
erst mittags raus. Außer der Junge.
Ich suche, eine halbe,
eine ganze Stunde lang. Es ist heute kühler. Der Himmel ist nicht
mehr strahlend blau, sondern tiefgrau.
Aus irgendeinem Haus
ertönt in voller Lautstärke „Jingle Bells“, hinter jedem
Fenster ist schillernde Weihnachtsdeko zu erkennen.
Ich reibe meine Arme und
gehe weiter und dann, in einem Vorgarten, sitzt er auf einer Stufe.
Neben ihm ein Mädchen. Er sieht betrübt aus. Sie lächelt ihm
aufmunternd zu.
Sie legt ihm ihre Hand
auf die Schulter. Er lächelt auch. So ähnlich, wie er mich
angelächelt hat.
ER hat mich auch
angelächelt, wie er eine Andere angelächelt hat. ER hat sie
geküsst. ER hat gesagt, dass er mich liebt und ich, dass ich ihn
hasse. Dann war er weg.
Ich habe an jemand
anderen gedacht. Viel später. Ich habe mich schlecht gefühlt. Doch
dieser Andere ist genauso wie ER.
Und ICH werde jetzt
diesen Berg besteigen, denke ich, bevor mich das Mädchen erschrocken
ansieht. Ich beiße die Zähne fast zusammen, damit ich ihn nicht
anschreie und ich renne.
Wie kam ich bloß
darauf, dass er vielleicht etwas von mir will? Er hat gestern auf das
Mädchen gewartet und als ich kam, war er einfach nur höflich zu
mir.
Das Feld ist weit. Ich
weiß, dass er mir folgt, aber er ist wie ER, also wird er nicht mit
heraufkommen. Zu mir.
Aber eigentlich trifft
ihn ja gar keine Schuld. Er hätte mich nur nicht so ansehen dürfen. Er hätte sie nicht so anlächeln dürfen!
Die erste Hälfte des
Berges ist leicht. Dann verschwindet das Gras und steile Felsen ragen
vor mir auf. Trotzdem versuche ich zu klettern. Ich finde schon einen
Weg. Und wenn ich abstürze, dann macht das auch nichts. Den
schlimmsten Sturz habe ich schon hinter mir.
Ich drehe mich nicht um.
Hier oben bin ich sicher. Fast bin ich da.
Doch dann taucht er
neben mir auf.
„Du rennst viel zu
viel. Du läufst davon, aber du musst dich der Wahrheit stellen.“
Und die wäre? Dass du
eine Andere liebst?
Dass du mit mir hier
hoch gekommen bist?
Und plötzlich befinde
ich mich in der Sonne wieder. Ich habe es geschafft! Ich bin dort, wo
ich sein wollte, wo die Sonne hinkommt, wenn sie durch die Wolken
bricht. Ich sehe das, was ich sehen wollte: Ewige Felder, die Allee,
die Stadt, das Dorf.
Für IHN wäre das zu
einfach gewesen, zu eintönig, aber er sagt: „Wow.“
Ich sehe ihn an, er ist
nicht wie ER. Er ist anders, besser.
„Das Mädchen vorhin
war meine Cousine.“
Das ist erlaubt?
„Wir sind kein Paar“,
sagt er und ich merke, dass ich wieder grinsen muss.
Dann spüre ich seine
festen Lippen auf meinen. Dann ist da nur noch der Junge, nicht ER.
Ich weiß nicht, wie
lange der Kuss andauert, aber es kommt mir vor wie eine Ewigkeit und
trotzdem ist er viel zu schnell zu Ende.
„Wollen wir hier
bleiben?“, fragt er.
Wenn ich tatsächlich
von meinen Eltern heute Abend ein Geschenk bekommen würde, so ist
mir das egal. Das Schönste sitzt gerade neben mir.
Ich nehme alles
zusammen, was ich in mir habe. Versuche den schönsten Ton zu treffen
und sage so leise wie möglich: „Ja“.
Und wie ein Wunder
segeln kleine weiße Flocken auf uns herab.
Die Geschichte ist echt toll.
AntwortenLöschenIch war nur etwas verwirrt wegen dem ER und weil keine Vorgeschichte genannt wird. Ich dachte erst das ER der Vater war oder so, was mit "meine Eltern" dann die Frage war ob es der Vater ist.
Schöne Geschichte!
Macht weiter so.
GLG♥
Danke für den lieben Kommentar =)
LöschenDas ich am Anfang noch nicht verraten habe, wer ER ist, war absicht.
Alles Liebe
Luisa
Ja, deine Geschichte ist wirklich toll!
AntwortenLöschenHabe sie mit Begeisterung gelesen.
aaaah, einfach klasse, ich liebe solche Geschichten.
Drück dich
Frau Huegel
Danke, danke, danke =)
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